21.03.2021 Download als PDF

Erfolg neu definieren – Stärken im Fokus

Warum versteht mein Chef mich nicht?

Von Patrick K. Magyar

Unsere Illustration zeigt wie unterschiedlich die gleiche „Realität“ bewertet werden kann. Gerade zwischen Chefs und Mitarbeitenden passiert dies immer wieder, zum Leidwesen der Mitglieder eines Teams – und auf Kosten seines Erfolgs.

Frust, Trennung, Misserfolge

Als ich als junger Trainer tätig war, kam mein drei Jahre jüngerer Bruder Beat in meine Trainingsgruppe – ein talentierter Mittelstreckenläufer. Dennoch schaffte ich es nicht, ihn zu Höchstleistungen zu coachen. Er verstand mich als Trainer nicht, ich ihn nicht als Athleten. Mein erster Chef war der Direktor des Leichtathletik-Meetings Weltklasse Zürich. Als Vize-Präsident des IAAF Grand Prix und Präsident von Euromeetings prägte Res Brügger die Leichtathletik weltweit. Er formte mich nachhaltig, wofür ich ihm bis heute dankbar bin. Und doch kündigte ich nach acht Jahren meinen Job bei ihm, wütend und enttäuscht. Wir hatten uns über meinen Übergang von seinem Stellvertreter zu seinem Nachfolger entzweit. Und dies, obwohl wir vorher unsere Abmachung schriftlich fixiert hatten. Jeder von uns hatte unter dem Text etwas anderes verstanden.

Gemeinsame Ziele

Ich erlebte früh in meiner beruflichen Karriere, wie Nicht-Verstehen zu Frust, Trennung oder nur bescheidenen Leistungen führen kann. Mit der Zeit gelang es mir immer besser, dieses Nicht-Verstehen zu vermeiden. Dabei waren drei Erkenntnisse ausschlaggebend, die ich anhand der beiden Beispiele erläutern möchte. Mein Bruder hatte als Athlet ganz andere Bedürfnisse und Ziele als ich. Ich hatte Leistung und Erfolg im Kopf, er wollte Spass haben und gute Freunde finden. Hätten wir unsere Ziele abgesprochen und diese gegenseitig akzeptiert, hätten wir uns viel erspart. Werden die Ziele eines Teams nicht gemeinsam getragen, sind Spitzenleistungen schwierig. Es ist von zentraler Bedeutung, dass alle im Team die Ziele verstehen und mittragen. Das gilt auch, wenn die persönlichen Ziele ein bisschen von denen des Teams abweichen.

Unterschiedliche Perspektiven

Jede Perspektive hängt von eigenen Erfahrungen, Haltungen, Kenntnissen, Bedürfnissen und Zielen sowie von der zu tragenden Verantwortung ab. Mein Chef und Vorbild Res Brügger und ich hatten unterschiedliche Perspektiven davon, was „bereit sein“ für den Job als Meeting Direktor hiess. Ich verstand darunter über das fachliche und führungstechnische Know-how für den Job zu verfügen. Res verstand darunter die nötige Erfahrung für alle Aufgaben mitzubringen. Daran haben wir uns entzweit. Acht Jahre nach meiner Kündigung kehrte ich übrigens als Meeting-Direktor zu Weltklasse Zürich zurück – auf Wunsch von Res Brügger.

Realistische Selbsteinschätzung

Ich habe mich später immer wieder gefragt, ob ich dem Job gewachsen gewesen wäre. Denn wie die meisten Menschen überschätze auch ich mich ab und zu. Eine Studie in den USA zeigte, dass 95 % der Lehrpersonen ihre pädagogischen Fähigkeiten als überdurchschnittlich einstuften. Eine andere Studie mit einer Million Schülern/innen ergab, dass 70 % ihre Leistungen für überdurchschnittlich hielten. Mathematisch gesehen läge der Durchschnitt aber bei 50 %! Um sich nicht zu sehr von der Realität zu entfernen, lohnt es sich – auch als Chef –, die eigene Selbsteinschätzung gelegentlich zu hinterfragen und mit anderen Teammitgliedern abzugleichen.

Vom Ich zum Wir

Sich im Team verstehen, auch über die Hierarchiestufen hinweg, bedingt zunächst gemeinsame Ziele. Dann sollten möglichst viele unterschiedliche Perspektiven ausgesprochen, berücksichtigt und akzeptiert werden. Und schliesslich hilft es, die eigene Selbsteinschätzung zu hinterfragen. So werden Verständnis, Akzeptanz, Vertrauen und schliesslich Erfolg im Team generiert.

Weitere Überlegungen zu «unterschiedlichen Perspektiven» im Blog-Beitrag Ist dieser Buchdeckel blau?.


Sie fanden diesen Beitrag spannend? Jetzt Newsletter abonnieren und keinen Beitrag verpassen!

Unveröffentlichtes Formular
Autor Patrick K. Magyar

Ein Selbstporträt des Autors Patrick K. Magyar
Durch ihre Selbstporträts bieten unsere Autoren einen Einblick in ihre Denkart und Lebenserfahrungen. Dies wird Sie bei der Einordnung ihrer Beiträge und Ansichten unterstützen: